URBAN NATION X Nils Westergard: The UNforgotten – Edition 1

Den erste Meilenstein in diesem noch jungen Jahr 2019 setzte URBAN NATION in der vergangenen Woche mit einer neuen, von Kuratorin Yasha Young kuratierten One Wall des belgisch-amerikanischen Künstlers Nils Westergard in der Bülowstraße 94, die aber weit mehr ist als ein neues großformatiges Wandbild. Diese besondere Wand steht für alle Themen, die Gehör brauchen und folgt dem Prinzip einer stetigen Kollaboration verschiedener KünstlerInnen. Sie wirft nun unter dem Titel “The UNforgotten” einen Blick zurück in ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte.

Die Wand des Gebäudes in der Bülowstraße 94 folgt einer ganz besonderen Leitidee, denn sie ist eine Gedenkwand für die Opfer des Naziregimes, die wegen ihrer Homosexualität verfolgt, verschleppt, inhaftiert und ermordet wurden. Diese Gedenkwand in dem LGBTQI-geprägten Kiez in Berlin-Schöneberg wird sich im Laufe der Zeit immer wieder transformieren und Symbol der Hoffnung für die Nachbarschaft sein. Hier werden verschiedene, internationale KünstlerInnen ganz im Sinne der Leitidee “The UNforgotten”, ihre Handschrift hinterlassen und immer wieder eine neue, schreckliche Geschichte dieser Zeit erzählen. Die ganze Kraft der Kunst – oder auch “Artivism” – kommt hier zum Einsatz, um historisch relevante Themen und auch einen Zeitgeist aufzugreifen und somit kollektive Erinnerungen zu schaffen.

Das initiale Kunstwerk stammt von Mademoiselle Maurice, die im Sommer 2017 erstmals diese Gedenkwand in ihrem ganz eigenen Stil, aber der Leitidee folgend, verzierte. Sie setzte mit den über 200 Origami-Vögeln aus Metall, die in ihrer Mitte ein Dreieck formen, den Grundstein und das Herzstück dieser Gedenkwand. Das rosafarbene Dreieck oder auch “Der Rosa Winkel” wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als Kennzeichnung von homosexuellen Häftlingen in den Konzentrationslagern benutzt, die diese Stoffaufnäher auf der linken Brust ihrer KZ-Häftlingskleidung tragen mussten.

Die neue Ergänzung zu diesem Herzstück wurde nun von Nils Westergard umgesetzt, der dem grauen und unliebsamen Januarwetter Berlins trotzte und diesem Mahnmal in der Bülowstraße mit seinem neuesten Werk nicht nur ein neues Antlitz verschaffte, sondern auch eine weitere, schreckliche Geschichte dieser Zeit erzählt. Nils Westergard ist bekannt für seine beeindruckenden Portraits. In seinen Arbeiten greift er die Themen Intimität, Ego, Macht und Zerbrechlichkeit auf. Die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Direktorin Young und Westergard an dieser Gedenkwand war daher nur die logische Konsequenz. Zusammen haben sie ein Konzept erarbeitet und Dank der Hilfe des so wichtigen Projektes “Faces of Auschwitz” eine Geschichte entdeckt, die wahrlich für Gänsehaut sorgt.

Die von Nils Westergard als Freihand-Arbeit portraitierte Person zeigt den Auschwitz-Häftling Walter Degen in seiner KZ-Häftlingsuniform, mit seiner Häftlingsnummer 20285 sowie dem Rosa Winkel auf der linken Brust. Walter Degen war Schlosser und wurde im Alter von 32 Jahren wegen seiner Homosexualität und als deutscher politischer Gefangener deportiert und am 29. August 1941 im Konzentrationslager Auschwitz registriert. Homosexuelle Handlungen zwischen Männern galten in der Nazizeit gemäß §175 des Strafgesetzbuches als Verbrechen, als “Gefährdung von Moral und Reinheit der deutschen Rasse”. Die Verurteilten wurden zu “asozialen Parasiten”. Die Kennzeichnung mit dem Rosa Winkel machte sie in den Konzentrationslagern zu der Gruppe, die am häufigsten missbraucht wurde. Im Mai 1942 wurde Walter Degen in das Konzentrationslager Mauthausen überführt. Es ist nicht bekannt, ob er überlebt hat.

Nils Westergard hat diese bewegende Geschichte nun auf beeindruckender Art festgehalten. Der Blick oder vielmehr das Auge des Walter Degen Portraits erfasst seine Betrachter aus jeder Perspektive. Es ist wach und beobachtet. Ebenso eindringlich ist auch das abgebildete Tor des Konzentrationslager Auschwitz, das Westergard zu seiner Komposition ergänzte. Emotionsgeladen und geballt kommt diese Wand nun daher. Wir laden jeden ein, sich einen Moment zu nehmen und diese Gedenkwand mit eigenen Augen zu sehen. Sie befindet sich in der Bülowstraße 94, Berlin-Schöneberg.

Mehr Informationen zu Faces of Auschwitz: https://facesofauschwitz.com/

Über Walter Degen: https://facesofauschwitz.com/gallery/walter-degen/