Bücher in der MCL: Various & Gould. Permanently Improvised

Permanently Improvised. Various & Gould, 2019

Das Wort „improvisiert“ könnte zu der Annahme verleiten, dass Straßenkünstler ohne Planung arbeiten und auf ein Wunder hoffen. Various & Gould, ein in Berlin ansässiges Street-Art-Duo, sind jedoch von einem skurrilen Geist beseelt und nehmen unerwartete Ergebnisse in Kauf, doch ihr 15-jähriges Werk ist von umfassender Planung und zielgerichteter Überlegung geprägt. Sie widmen sich dem wissenschaftlichen Prozess des Experimentierens, Entdeckens und Analysierens, was sie zu einer eigenen Kategorie unter den vielen Künstlern in dieser Ära des persönlichen Ausdrucks im öffentlichen Raum macht.

Das Buch „Permanently Improvised“ bietet einen Überblick über acht große Kampagnen, die das Duo von Mitte der 2000er bis Ende der 2010er Jahre an verschiedenen Orten wie Straßen, Parks und versteckten Hauseingängen durchgeführt hat. Begleitet wird dieses umfassende Werk von analytischen Essays von Stadt- und Kunstintellektuellen, Aktivisten und Experten, darunter Jan Kage, Steven P. Harrington, Toby Ashraf, Alison Young, Luis Müller Phillip-Sohn, Ilaria Hoppe, Anne Wizorek, Mohamed Amjahid, sowie einem aufschlussreichen Interview mit den Künstlern und Polina Soloveichik. Außerdem sind Bilder in situ enthalten, die es dem Leser ermöglichen, die verrückte, kryptische innere Fantasiewelt des Duos zu erleben und einen Einblick in ihre eigenwillige Herangehensweise zu gewinnen – und in die Möglichkeiten des hybriden Denkens in der Zukunft.

Various & Gould ist ein Künstlerduo, das in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts ein fester Bestandteil der Berliner Kunstszene war. Ihre Arbeit zeichnet sich durch einen gesellschaftskritischen Ansatz aus, der sich auf unkonventionelle und spielerische Weise mit Themen wie Vielfalt, Migration, technologische Innovation, Geschlechterrollen und der Definition von Arbeit auseinandersetzt. Ihre Liebe zum Papier ist offensichtlich, auch wenn es sich unter den rauen Bedingungen der Stadt als zerbrechlich erweist. Ihre handgefertigten Werke sind eine elektrisch geladene Deklaration der Hoffnung an verschmutzten Stadtmauern und umfassen mehrfarbige Patchworks aus collagierten Gesichtern, Punkt für Punkt gemalte Rasterwandbilder, lebendige Papierabgüsse von Denkmälern und große Bilder zertrümmerter Smartphones, die als Tiefdruckplatten verwendet werden.

Die erste Monografie über die Arbeit von Various & Gould ist ein mittelgroßes, gebundenes Buch mit lehrreichen und anschaulichen Bildern ihrer Werke, die illegal auf der Straße platziert wurden, im Atelier entstanden sind, in Galerien präsentiert werden und in einem Fall auf öffentlichen Skulpturen von Marx und Engels aus Pappmaché bestehen. Die Arbeiten werden mit aufrichtiger Gelehrsamkeit und Humor präsentiert, selbst während des Entstehungsprozesses, der Interaktion mit der Öffentlichkeit und der Zersetzung durch natürliche Einflüsse.

Die Kampagnen auf der Straße sind mit dem Wissen um Politik, Geschichte und soziale Kommentare gestaltet und vermitteln dem Betrachter eine größere Wertschätzung für die stammesähnliche Mentalität, die die Menschen unter der Fassade der Höflichkeit besitzen – ein trockenes Holz, das darauf wartet, in Flammen aufgehen zu können. Beispielsweise wurden im Rahmen der Kampagne „Wanted Witches“ 13 Porträts moderner Pioniere in gesellschaftspolitischen Fragen mit Phosphor bemalt und die Betrachter aufgefordert, ein Streichholz an ihnen anzuzünden, wodurch die öffentliche Interaktion über den uns vertrauten Rahmen hinausging. Die sorgfältig geplante und ausgeführte Installation auf den Straßen der Stadt hat das heiligengleiche Opfer von Menschen, die uns vorausgehen und manchmal als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, kraftvoll in Szene gesetzt – sei es im wörtlichen Sinne oder vielleicht durch feindselige Medien und politisierte Rhetorik.

Einem Großteil der Arbeiten von V&G liegt eine Untersuchung der Identität zugrunde, ihrer Formbarkeit, ihrer Flüchtigkeit und ihrer wahrgenommenen Relevanz in gesellschaftlichen Schichten. Viele Projekte meditieren über unser flexibles Selbst, wie z. B. Identikit, das Persönlichkeiten und Schlüsselwörter austauscht, um Spannungen darzustellen und Assoziationen zu untersuchen; St. Nimmerlein, das sich über die willkürliche Macht der Heiligsprechung mit fiktiven Persönlichkeiten lustig macht, die es sicher nicht verdienen; und „Face Time“, eine dadaistische Studie, die die Ähnlichkeiten und Merkmale vieler Menschen zu unglaubwürdigen, aber vertrauten Glitch-Menschen kombiniert. In der frühen Kampagne „Rabotniki“ werden Körper, Teile, Geschlechter, Klassen und Identitäten auf eine handgemachte, herzbewusste Art und Weise vermischt und angepasst.

Ihr einzigartiger Ansatz ist das Schneiden und Kleben mit Weizenstärkekleister, eine Improvisationstechnik, die Entdeckungen, Einsichten und Humor zulässt. Das lässt sich gut auf ihre respektierte zeitgenössische Kunstpraxis übertragen. „Permanently Improvised“ ist eine Hommage an V&Gs einzigartige Herangehensweise an die Street Art und ihren historischen Beitrag zur Berliner Straßenkunstszene und darüber hinaus.

Text: Steven P. Harrington and Jaime Rojo Fotos: Sebastian Kläbsch